Buchrezension

„Beruhigend, dass es Menschen gibt, die noch fertiger sind als man selbst“

Der Bochumer Autor und Künstler Matthias Schamp, bekannt als Produzent „Schlechter Verstecke“ im Satiremagazin „Titanic“ sowie schwarzhumoriger Grotesken-Bücher, hat jüngst wieder literarisch zugeschlagen: In seiner Kurzprosa-Sammlung „Zärtliche Massaker“ wagt er einen genüsslichen Blick in die Abgründe menschlicher Psyche.

Anders als in seinem Science-Fiction/Western-Roman „Hirntreiben.EEG“, wo digitale Cowboys den Plot und eine Herde Hirne vorantreiben, fährt er in seinem neuen Buch lebendiges Personal auf – darunter einige extrem schräge Vögel, die an sich oder den Tücken des Alltags scheitern. Dem Leser bleibt ein schöner Trost (Zitat): „Ist es nicht irgendwie auch beruhigend, dass es Menschen gibt, die noch fertiger sind als man selbst?“

Da walten die tragischen Missverständnisse des Pommesgabel-Sammlers Horn. Da ist die Familie, die einen Komposthaufen zum Lebensmittelpunkt wählt. Da ist der Herr mit Hasenohren. Oder Tobias, der seine Jugendliebe plötzlich auf dem Straßenstrich wiedertrifft und dabei keine Peinlichkeit auslässt. Mitunter schlägt die Fantasie des Autors wortgewaltige Kapriolen: beispielsweise wenn der weihnachtliche Elternbesuch eines Altstudenten im sagen wir mal 40. Semester unversehens im Splattermovie-Gemetzel endet. Krieg in Herne: Tragikomik kippt ins Haarsträubende und der Alltag in schleichenden Wahnsinn.

In Schamps Buch steht einmal nicht die Welt der hippen Szenegänger im Zentrum, sondern Beobachtungen aus den Tiefen der Pommesbuden. Entsprechend unaffektiert kommt das Buch daher – mal rotzig, mal poetisch, mal gradlinig, mal wunderbar abgedreht. Und dabei stets an Existenzielles rührend: Schamp geht es um die kleinen und großen menschlichen Niederlagen. Er führt seine Anti-Helden in gewohnt wortgewandter Manier an den Rand ihrer persönlichen Abgründe. Und manchmal schubst er sie auch hinein.

Matthias Schamp: Zärtliche Massaker – Neue Geschichten aus dem Ruhrgebiet, edition selene, Wien 2003, 14.90 €


Coolibri, Juli 2003 [PDF-Download, 99 KB]

© Textkultur Claudia Heinrich

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